Genetische Veränderungen sind überall

Die meisten Nutzpflanzen und -tiere sind das Ergebnis jahrhundertelanger Züchtung – sie kämen in der Natur so nicht vor. Mutationen finden ständig statt und treiben die Evolution voran: Allein auf einem Hektar Weizen entstehen pro Jahr rund 20 Milliarden genetische Veränderungen (Quelle). Dieses „veränderte“ Erbgut nutzen wir seit Jahrtausenden zur Züchtung neuer Sorten. Dabei nutzen wir schon heute natürliche Mutationen ebenso wie solche, die wir mit Hilfe von Werkzeugen (Chemie, Bestrahlung) künstlich induzieren.

Innovationen in der Pflanzenzüchtung haben der Gesellschaft außerordentliche Vorteile gebracht. Dazu zählen eine verbesserte Saatgutqualität, höhere Produktivität, gesteigerte Einkommen für Landwirte, niedrigere Lebensmittelpreise sowie eine Reduktion des Energieverbrauchs und der CO₂-Emissionen. (Quelle)

Neue genomische Techniken (NGTs) – Die Züchtungsinnovation

Neue genomische Techniken sind neue Züchtungsmethoden, die punktgenaue und präzise Veränderungen (Mutationen) im Erbgut ermöglichen. Mithilfe der Genschere (CRISPR/Cas9) können Gensequenzen innerhalb eines Genoms editiert werden, ohne artfremde Gene einzuführen. Dadurch können die entstandenen Mutationen genauso auch spontan in der Natur vorkommen oder das Ergebnis einer konventionellen Mutationszüchtung oder Kreuzung sein. Immer mehr Länder setzen diese neue Technologie ein, da sie durch ihre Effizienz nachhaltig und sicher ist und die Pflanzenzucht erheblich beschleunigt und verbessert. Detaillierte Hintergrundinformationen finden Sie in der Genome Editing Infothek.

Die Stimme der Wissenschaft

„Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden.“

– Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. (Quelle)

Zahlreiche Forschungsprojekte belegen das vielseitige Potenzial dieser Technologie: NGTs helfen dabei, Pflanzen widerstandsfähiger gegen Umweltstress wie Wassermangel, Überschwemmungen, Versalzung, Hitze, Kälte, Krankheiten und Schädlinge zu machen – und gleichzeitig Erträge sowie Nährstoffeffizienz zu steigern. Auch lokale Sorten lassen sich mit geringem Aufwand weiterentwickeln, was die genetische Vielfalt erweitert und die Sortenauswahl verbessert. Sie kann so zur Erhaltung der Biodiversität, zur Förderung nachhaltiger Anbaumethoden, sowie zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. So können landwirtschaftliche Flächen effizienter und nachhaltiger genutzt und der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln reduziert werden.

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Vielfältige Vorteile

  1. Beschleunigung der Züchtung: z. B. virusresistente Gerste in zwei Jahren statt zehn.
  2. Vermeidung/Minimierung unerwünschter Veränderungen, wie sie bei bisher genutzten Methoden auftreten.
  3. Klimaanpassung: Pflanzen werden hitze- und dürretoleranter.
  4. Geringerer Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln auf einer kleineren Anbaufläche – passend zu EU-Zielen (Green Deal/Farm-to-Fork).
  5. Nährwertsteigerung: z. B. Vitamin-A-angereicherte Bananen, eisenreicher Reis.
  6. Qualitätsverbesserung: z. B. glutenreduzierter Weizen, acrylamidarme Kartoffeln.
  7. Geringerer Wasserverbrauch und Anpassung an regionale Bedingungen. (Quelle)
    (Grafik: CropLifeEurope)

Der politische Status Quo

In Europa fallen NGTs unter das strenge Gentechnikrecht, da diese Technologien zum Zeitpunkt der Einführung des Rechts in den 90ern noch nicht existierten (Quelle). Das bedeutet, dass Pflanzen, die mithilfe von NGTs entwickelt wurden, auch das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen durchlaufen müssen, selbst wenn sie mit konventionellen Pflanzen identisch oder ihnen ähnlich sind. Das Zulassungsverfahren in der EU ist nach wie vor langwierig und unkalkulierbar und die gesetzlichen Fristen werden nur selten eingehalten. Das macht es für Unternehmen der Lebens- und Futtermittelkette kostspielig und schwer berechenbar und ist daher nicht für alle Unternehmen zugänglich. Für mit der konventionellen Mutationszüchtung erzeugte neue Sorten, bei der Saatgut mit radioaktiven Strahlen oder mutagenen Chemikalien behandelt wird, ist eine solche Risikobewertung nicht vorgeschrieben. Ihr wurde jahrzehntelanger „safe use” attestiert, obwohl sie massiv ins Genom der Pflanze eingreift und folgerichtig als Gentechnik betrachtet wird.

Ein neuer Rechtsrahmen muss her: Der derzeitige kostspielige und langwierige regulatorische Rahmen hemmt die Entwicklung und Verfügbarkeit von NGTs für europäische Landwirte sowie Züchtungsunternehmen jedweder Größe und beeinträchtigt die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der EU. Ein zukunftssicherer regulatorischer Rahmen muss wissenschaftlich fundiert sein. Der Regulierungsstatus einer Pflanze sollte von ihren Eigenschaften abhängen, nicht von der Technik, mit der sie erzeugt wurde. In der Legislaturperiode 2024–2029 ist es an der Zeit, dass die EU-Gesetzgeber aktiv werden und Innovationen fördern.

So sollte der EU-Rechtsrahmen sein

  • Nicht diskriminierend: ähnliche Pflanzen in ähnlicher Weise regulieren und sicherstellen, dass konventionell-ähnliche genomeditierte Pflanzen der sogenannten Kategorie NGT1 wie konventionelle Pflanzen behandelt werden. (NGT steht für neue genomische Techniken. Bei Pflanzen der Kategorie 1 wird die DNA verändert ohne Fremdmaterial einzubringen.)
  • Ergebnisorientiert: Bereitstellung wissenschaftlich fundierter Kriterien zur Bestimmung der Gleichwertigkeit zwischen NGT-Pflanzen und ihren konventionellen Gegenstücken; dieses Kriterium sollte auf dem Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein fremder DNA beruhen, wie es bereits in anderen Ländern der Welt der Fall ist (beispielsweise USA, Kanada, Australien).
  • Wettbewerbsfähig: Angleichung an andere geografische Regionen auf dem Globus, um die Unsicherheit und den Regulierungsaufwand für die Akteure der Lebensmittel- und Futtermittelkette zu verringern.
  • Inklusiv: Ein vereinfachtes Verifizierungsverfahren anbieten, das es Akteuren jedweder Größe ermöglicht, Produkte zu vermarkten.
  • Zukunftssicher: Flexibilität, damit technologische Fortschritte zeitnah in die Regulierung einfließen können.

Zeitnah und flexibel: Sicherstellen, dass aktuelle Herausforderungen rasch angegangen werden können, während die Anpassungsfähigkeit  an zukünftige Innovationen erhalten bleibt. (Quelle)

Aktuelle Entwicklungen

Aktuell verhandelt die EU im Trilog über eine zeitgemäße Regulierung für NGTs, um der europäischen Landwirtschaft Zugang zu innovativen Züchtungstechniken zu gewähren. Besonders kontroverse Themen, weshalb die Verhandlungen sich lange ziehen, sind (Quelle):

  • Kennzeichnungspflicht
  • Schutz ökologischer/gentechnikfreier Landwirtschaft
  • Patentierbarkeit

Aktuelle Informationen hierzu finden Sie in unserem Blog und auf unseren Social-Media-Plattformen, LinkedIn, X und Bluesky. [Link auf Blog Artikel]

Chancen für den Ökolandbau

Während der Vorschlag der Kommission ein Verbot von NGTs im Ökolandbau vorsieht, um diesen zu schützen, sehen Wissenschaftler durchaus Chancen: NGTs kämen auch dem Ökolandbau zugute, der seit Jahrzehnten Sorten nutzt, die mit klassischer Mutationszüchtung erzeugt wurden. In einer gemeinsamen Stellungnahme sprechen sich beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Leopoldina für eine Vereinbarkeit neuer genomischer Techniken mit ökologischer Landwirtschaft aus:

DFG und Leopoldina würden es begrüßen, wenn die zukünftige EU-Verordnung NGT-1-Pflanzen auch für Zwecke des Ökolandbaus zulässt, d. h. nicht unter das GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung fallen lässt. Der Ökolandbau kann aufgrund des weitgehenden Verzichts auf chemischen Pflanzenschutz in ganz besonderer Weise von NGT-1-Pflanzen profitieren.“ (Quelle)

Ähnlich äußert sich auch der Agrarökologe Urs Niggli, der von 1990 bis 2020 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) leitete, eine der bedeutendsten Forschungseinrichtungen für ökologische Landwirtschaft:

„Wir brauchen also auch konventionelle Landwirtschaft – aber in einer nachhaltigeren Form als heute. Und um – gerade in Zeiten von Wetterextremen – produktiver zu werden, kann uns die neue Gentechnik helfen.“ (Quelle)

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Die Innovation schreitet weltweit voran

Damit die neuen Züchtungsmethoden zu einer nachhaltigen und ertragsstarken Landwirtschaft  beitragen können, muss allerdings ein Umfeld geschaffen werden, das landwirtschaftliche Innovationen unterstützt und planungssichere Entscheidungsprozesse ermöglicht.

In Ländern, die ihre Gentechnik-Gesetze entsprechend reformiert haben – USA, Japan, Argentinien und England –, sind NGT-Pflanzen bereits für Anbau und Vertrieb erhältlich.

Diese NGT-Produkte gibt es bereits auf dem Markt

  • High-Oleic-Sojabohnen(speise-)öl (Calyno™, HOLL-Soybean) mit einem höheren Anteil an Ölsäuren (≈80 %) (seit 2019 in den USA im Handel)
  • Tomaten mit erhöhtem Gehalt an γ-Aminobuttersäure (GABA) – blutdrucksenkend (seit 2021 kommerzieller Anbau und Vertrieb im Lebensmittelhandel in Japan)
  • Senfgrün / frischer Salat aus Senfblättern mit einer Reduzierung des scharfen / bitteren Geschmacks durch Minimierung der Senfölbildung – schmackhafter (seit 2023 in den USA in Vermarktung)
  • Eisbergsalat „Conscious Greens™“ (US-amerikanisches Unternehmen Pairwise) mit einem längeren frischen Aussehen, dadurch weniger Lebensmittelverluste im Handel und in Haushalten (Vermarktung in den USA ab 2023)
  • Mais (Waxy Corn / Wachsmais – Corteva Agriscience) mit veränderter Stärke-Zusammensetzung (höherer Amylopektin-Gehalt), besser für Industrieanwendungen (Anbau seit 2020, jedoch keine Markteinführung ohne entsprechende Regulierung in der EU) (Quelle)

Ausblick

Die öffentliche Akzeptanz wächst. In der Schweiz zum Beispiel befürworten 86 Prozent der Bürger den Einsatz von NGTs zur Klimaanpassung von Pflanzen. Sie bieten eine enorme Chance für Ernährungssicherheit, Nachhaltigkeit und Klimaanpassung. Aus diesem Grund ist die Modernisierung des rechtlichen Rahmens dringend notwendig. (Quelle)

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