Genetische Veränderungen sind überall

In all unseren Lebensmitteln finden sich veränderte Gene

Die meisten Pflanzen und Tiere, die wir verzehren, kommen so in der Natur nicht vor. Sie wurden über Jahrhunderte hinweg domestiziert und gezüchtet. Dabei wurden ihre Gene verändert, um sie an unsere Bedürfnisse und Vorlieben anzupassen. Tatsächlich finden Mutationen täglich in jeder Pflanze statt und treiben die Evolution voran. Der Pflanzenforscher Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, hat vorgerechnet, dass auf einem ein Hektar großen Weizenfeld pro Jahr 20 Milliarden Mutationen entstehen (Quelle: Interview im SPIEGEL, 12.5.2018). Solches „genveränderte“ Getreide nutzen wir seit Jahrtausenden, um es zu verarbeiten, erneut auszusäen und neue Sorten zu entwickeln.

Innovationen in der Pflanzenzüchtung haben der Gesellschaft außerordentliche Vorteile gebracht. Dazu zählen verbesserte Saatgutqualität, höhere Pflanzenproduktivität, gesteigerte Einkommen für Landwirt:innen, niedrigere Lebensmittelpreise sowie eine Reduzierung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen.

Neue Genomische Techniken (NGT): die Züchtungsinnovation

Neue Genomische Techniken (NGT) sind neue Züchtungsmethoden, die punktgenaue und präzise Veränderungen (Mutationen) im Erbgut ermöglichen. Mithilfe dieser Methoden können vor allem Gensequenzen innerhalb eines Genoms editiert werden, ohne artfremde Gene einzuführen. Die neuen Züchtungsmethoden können schneller zu verbesserten Pflanzeneigenschaften führen als die klassischen Verfahren. Sie sind effizient und haben ein vielversprechendes Potenzial für die Pflanzenzüchtung.

Bei den Verfahren ohne Einbringung artfremder Gene ist das Züchtungsergebnis identisch mit dem Ergebnis einer konventionellen Mutagenese-Züchtung, (zufälliger) Kreuzungen oder spontaner Mutationen und analytisch nicht zu unterscheiden. Die Methoden existierten zum Zeitpunkt der Entwicklung der klassischen Gentechnik nicht und daher entspricht das vor zwei Jahrzehnten entwickelte, auf die klassische Gentechnik zugeschnittene Gentechnik-Recht nicht mehr dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.

Landwirtschaftliche Innovationen fördern

Gene Editing bietet vielfältige Potenziale für die Landwirtschaft. Zahlreiche Forschungsprojekte zeigen, dass die neuen Technologien eingesetzt werden können, um die Erhaltung der Biodiversität zu unterstützen, die Nachhaltigkeit des Sektors zu fördern und den Klimawandel zu bekämpfen. Ebenso wird untersucht, wie Nutzpflanzen ertragreicher und widerstandsfähiger gegen Wassermangel bzw. Überschwemmungen, Versalzung, Hitze / Kälte, Krankheiten und Schädlinge gemacht werden können. Weiterhin bieten die neuen Züchtungsmethoden das Potenzial, zu einer Ertragssteigerung oder einer verbesserten Nährstoffeffizienz beizutragen.

Gene Editing ist als einfache und preiswerte Methode auch dazu geeignet, lokale Sorten rasch und mit geringem Aufwand zu verbessern. Damit kann die neue Technologie die bestehende natürliche genetische Vielfalt erweitern und eine noch größere Sortenvielfalt bereitstellen, so dass Land auch auf begrenztem Raum intensiver und nachhaltiger bewirtschaftet werden kann. Zugleich eröffnet sich die Möglichkeit, Dünge- und Pflanzenschutzmittel effizienter einzusetzen bzw. einzusparen.

Diese Vorteile kämen auch dem Ökolandbau zugute, der seit Jahrzehnten Sorten nutzt, die mit der künstlichen Mutagenese geschaffen wurden. In einer gemeinsamen Stellungnahme sprechen sich beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Leopoldina für eine Vereinbarkeit neuer genomischer Techniken mit ökologischer Landwirtschaft aus: „DFG und Leopoldina würden es begrüßen, wenn die zukünftige EU-Verordnung NGT-1-Pflanzen auch für Zwecke des Ökolandbaus zulässt, d. h. nicht unter das GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung fallen lässt. Der Ökolandbau kann aufgrund des weitgehenden Verzichts auf chemischen Pflanzenschutz in ganz besonderer Weise von NGT-1-Pflanzen profitieren.“ (Quelle) Ähnlich äußert sich auch der Agrarökologe Urs Niggli, der von 1990 bis 2020 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) leitete, eine der bedeutendsten Forschungseinrichtungen für ökologische Landwirtschaft: „Wir brauchen also auch konventionelle Landwirtschaft – aber in einer nachhaltigeren Form als heute. Und um – gerade in Zeiten von Wetterextremen – produktiver zu werden, kann uns die neue Gentechnik helfen.“ (Quelle: Interview mit Spektrum der Wissenschaft, 19.7.23)

Damit die neuen Züchtungsmethoden zu den Nachhaltigkeitszielen beitragen können, muss allerdings ein Umfeld geschaffen werden, das landwirtschaftliche Innovationen unterstützt und planungssichere Entscheidungsprozesse ermöglicht.

In Ländern, die ihre Gentechnik-Gesetze entsprechend reformiert haben – USA, Japan, Argentinien und England –, sind NGT-Pflanzen bereits für Anbau und Vertrieb erhältlich. Ein Beispiel für solche Pflanzen sind Tomaten mit erhöhtem GABA-Gehalt (Gamma-Aminobuttersäure), einem blutdrucksenkenden Neurotransmitter. Normalerweise ist die GABA-Bildung in Tomaten durch ein Gen begrenzt. Durch die Anwendung der Genschere CRISPR/Cas wurde dieses spezielle Gen ausgeschaltet, wodurch die NGT-Tomaten einen fünf- bis sechsfach höheren GABA-Gehalt aufweisen. Weitere Beispiele sind Senfgrün ohne Bittergeschmack, Salat, der nicht braun wird, Orangenbäume, die resistent gegen Zitruskrebs sind, Mais mit veränderter Stärkezusammensetzung und Sojaöl mit einem höheren Anteil an Ölsäuren (Quelle: Transgen – Genom-editierte Pflanzen: Was außerhalb Europas schon auf dem Markt ist (oder kurz davor).

 

Aktuelle Entwicklungen

Restriktive GVO-Regulierung: In der EU fallen NGTs derzeit unter die GVO-Gesetzgebung. Das bedeutet, dass Pflanzen, die mithilfe von NGTs entwickelt wurden, einer strengen Bewertung unterzogen werden müssen, selbst wenn sie mit konventionellen Pflanzen identisch oder ihnen ähnlich sind. Für mit konventionellen Methoden erzeugte neue Sorten – zu diesen Techniken zählt auch die künstliche Mutagenese mit Bestrahlung oder mutagenen Chemikalien – ist eine solche Risikobewertung nicht vorgeschrieben. Der derzeitige regulatorische Rahmen hemmt die Entwicklung und Verfügbarkeit von NGTs für europäische Landwirt:innen und beeinträchtigt die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der EU. Ein zukunftssicherer regulatorischer Rahmen muss wissenschaftlich fundiert sein. Der Regulierungsstatus einer Pflanze sollte von ihren Eigenschaften abhängen, nicht von der Technik, mit der sie erzeugt wurde.
Außerhalb der EU richten sich bereits einige Länder – Argentinien, Australien oder Israel – nach diesem Grundsatz. Andere Länder – die USA, Kanada, Brasilien und Japan – handeln nach einem Fall-zu-Fall-Verfahren (Quelle: Positionspapier Green Biotech Europe – Deutschland „Pflanzenzüchtung: Saatgut für morgen“). Das Julius-Kühn-Institut (JKI) listete 2018 in einer umfangreichen Zusammenstellung 102 marktnahe GE-Anwendungen im Bereich Pflanzen nach verschiedenen Kriterien auf (Quelle).